Was ist ein Held, eine Heldin? Eine Figur, die bestimmte menschliche Eigenschaften, verkörpert, die wir für exemplarisch halten und Dinge tut, die vorbildlich sind? Ein normatives Beispiel also, das an unser Handeln appelliert und zur Identifikation, Nachahmung und Wertschätzung einlädt und vielen ein Vorbild ist.

In der westlichen Kultur des späten 20. Jahrhundert ist diese Figur etwas aus der Mode gekommen. Das hängt wohl damit zusammen, dass im Zuge der Pluralisierung und Individualisierung der Lebensformen ein Konsens über verbindliche gemeinsame Normen im Schwinden begriffen ist. Das hat Folgen für die Art von Vorbild, die der Held oder die Heldin heute noch sein kann. Die ordnungsstiftende und handlungsorientierende Wirkungsmacht von Held*innen setzt in ihrer klassischen Form ein intaktes normatives Bezugssystem voraus. Doch was, wenn eine solche allgemeine Norm fehlt? Wenn mit der exponierten Stellung eines singulären Menschen keine Garantie auf einen starken Sinn verbunden wäre? Wäre dann das post-exemplarische Zeitalter zugleich ein post-heroisches?

Ungeachtet dieser Entwicklung hat sich in der Populärkultur des 20. Jahrhunderts ein neues Genre, das Genre der Superhelden, etabliert, welches sich zur Zeit einer großen Beliebtheit erfreut. Am Beispiel des kinematographischen Bildungsromans Iron Man, wird Cremonini der Frage nachgehen, ob und wann der Superheld auch unter postmodernen Bedingungen als beispielhaft verstanden werden kann.

 

Andreas Cremonini ist Philosoph und freier Wissenschaftler; er publiziert in den Bereichen Psychoanalyse, Phänomenologie und Theorien der Alterität. Zuletzt ist erschienen: Andreas Cremonini, Markus Klammer (Hg.): Bild-Beispiele. Zu einer pikturalen Logik des Exemplarischen, München 2020.

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Die Vortragsreihe ist eine Kooperation des Berliner Institut für Psychotherapie und Psychoanalyse (BiPP), des kulturwissenschaftlichen Instituts der Humboldt-Universität zu Berlin, der International Psychoanalytic University (IPU) und des ICI Berlin, organisiert von Wilhelm Brüggen (BIPP), Monika Englisch (BIPP) und Andreas Gehrlach (HU Berlin), großzügig gefördert von der Friedrich Stiftung.

Lecture Series Psychoanalytische Kulturwissenschaft

Die Vortragsreihe widmet sich dem Einfluss der Psychoanalyse auf die Kulturtheorien im Allgemeinen sowie besonders treffenden Anwendungen psychoanalytischen Verstehens auf aktuelle Phänomene. Die zentralen psychoanalytischen Konzepte Freuds und seiner Nachfolger sollen in einer offenen und schulenübergreifenden Sicht aufgegriffen werden, um sie auf kulturelle, politische, ökonomische Phänomene der Gegenwart anzuwenden. Wo die frühe Psychoanalyse sich mit der durch die viktorianisch-bürgerliche Zivilisation geprägten Familie auseinandersetzte, sind es heute soziale Verunsicherungen und Bedrohungen, extreme Formen von Individualisierung sowie neue digitale und technologische Kulturtechniken, die zunehmend in ihr Blickfeld geraten. Die Vortragsreihe will neue, kritische und innovative Lesarten der Psychoanalyse generieren und mit anderen geisteswissenschaftlichen und kulturkritischen Konzepten in Beziehung setzen.

KV Prekäre Verkörperungen