ICI Edition

Als Hegel vor zweihundert Jahren seine Epoche machende Phänomenologie des Geistes schrieb, stand der Geist auf dem Höhepunkt seines Ansehens. Anstelle dogmatischer religiöser Lehren schien das Zeitalter vernünftiger philosophischer Systeme angebrochen zu sein, die die Freiheit des Einzelnen wahren und die Einheit der Gesellschaft – über Konfessionsgrenzen hinweg – gewährleisten sollten. Die Entwicklungen der Moderne, nicht zuletzt jene, die im Namen des Hegel-Schülers Karl Marx vollzogen wurden, haben dieses Vertrauen in Geist und Vernunft erschüttert. Anstelle einer vernünftigen Planung von Wirtschaft und Gesellschaft hat das »freie Spiel der Kräfte« triumphiert, anstelle philosophisch begründeter Ideologien treten heute erneut Religionen in den Vordergrund.

Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für 2007 ausgerufene »Jahr der Geisteswissenschaften« bietet den geeigneten Anlass, in grundsätzlicher Weise nach der Stellung von Geist und Vernunft in der Gegenwart zu fragen.

Mit Vittorio Hösle (University of Notre Dame) und Boris Groys (HfG Karlsruhe) treffen zwei profilierte Gegenwartsphilosophen aufeinander. Beide berufen sich in unterschiedlicher Weise auf die idealistisch-hegelianische Tradition und betonen die Bedeutung der Vernunft für Philosophie und Politik. Gleichwohl stehen beide Denker zugleich für unterschiedliche und sogar entgegengesetzte philosophische Entwürfe: Während der Katholik Hösle dem Neoliberalismus und Neokonservativismus nahe steht und als brillantester Vertreter einer starken Vernunft gelten kann, erhebt Groys in poststrukturalistischer Manier das Paradox zum Angelpunkt des Denkens und lässt in seiner letzten, provokativen Publikation Das kommunistische Postskriptum deutliche Sympathien für den Kommunismus erkennen.

Auf Deutsch
With

moderiert von Luca Di Blasi und Marc Jongen

Organized by

HfG Karlsruhe in Kooperation mit dem ICI Berlin, das damit seine Gesprächsreihe ‘Spannungsübungen’ eröffnet.